I. Die Problematik der Wahl Eben dieser Umstand, die (vermeintliche oder wirkliche) Mediokrität der Präsidentschaftsbewerber, erregt seit langem Anstoß bei den Amerikanern und trägt gewiß zur vielbeklagten Wählerapathie bei Seit den Tagen John F. Kennedys hat -vielleicht mit Ausnahme von Ronald Reagan -kein Präsidentschaftsbewerber mehr die US-Bürger aufgerüttelt und ihre Phantasie beschäftigt. 1980 sprach man von „ABC“ -(Anybody but Carter-) Wahlen; 1984 war Langeweile das Signum des ungleichen Wettbewerbs zwischen Ronald Reagan und Walter Mondale; die Alternative Bush -Dukakis 1988 oder ihre aktuelle Variante Bush-Clinton im laufenden Jahr war und ist wenig geeignet, allgemeine Zweifel an der „leadership“ -Qualität, an Amtseignung und Charisma der Kandidaten auszuräumen.
II. Rückgang des politischen Vertrauens
Dazu kommt das in den neunziger Jahren eskalierende Unbehagen der Amerikaner an einem Mangel ethischer Grundwerte der politischen Klasse
Politik-und Parteienverdrossenheit herrscht, überwiegend gut begründet, diesseits und jenseits des Atlantik: In den breit gefächerten Wahlkämpfen des laufenden Jahres zeitigen sie erstmals weiterreichende Konsequenzen. Zum einen haben die Größen der Demokratischen Partei 1992 nicht bloß deshalb auf eine Präsidentschaftskandidatur verzichtet, weil lange Zeit der Republikaner George Bush zu fest im Sattel zu sitzen schien; sie fürchten wohl auch die Entschlossenheit der Wähler, Denkzettel zu verteilen, wie sie in einer Reihe von nationalen Meinungsbefragungen im vergangenen Jahr bekundet worden ist. Zum zweiten spielt die Glaubwürdigkeit der Kandidaten eine zentrale Rolle im laufenden Wahlkampf, was gerade der demokratische Kandidat, Bill Clinton, tagtäglich aufs neue schmerzlich erfahren muß. Sein Hauptproblem ist jene Glaubwürdigkeits-lücke, die sich nicht so sehr durch frühere Liebes-affären, gelegentlichen Marihuana-Konsum in studentischen Tagen oder mangelnde Vietnamkriegsbegeisterung auftut, sondern primär aus jener Liaison von Politik und Geschäft erwächst, in die er mit seiner Frau Hillary über Regierungskontrakte für das Anwaltsbüro der gut verdienenden Juristin verstrickt ist. Und drittens schließlich werden sich vermutlich „Incumbents“ zum ersten-mal in vielen Jahren wirklich schwer tun mit ihrer Wiederwahl.
Schon bei den Kongreßwahlen von 1990 zeichneten sich die Schwierigkeiten vor allem der Abgeordneten des Repräsentantenhauses deutlich ab, als ihr Stimmenvorsprung gegenüber den Herausforderern erheblich zusammenschmolz; und im laufenden Jahr kommt die Ungewißheit hinzu, die der „Redistricting“ -Prozeß (Anpassung der Wahlkreise an die Bevölkerungsentwicklung) in vielen Wahlkreisen erzeugt. Die zur Wiederwahl anstehenden Senatoren -erheblich mehr Demokraten als Republikaner -konnten sich vor sechs Jahren kein behagliches Stimmenpolster verschaffen: Mit durchschnittlich 58 Prozent der Wählerstimmen zogen die 34 Sieger nach Washington, und 16 von ihnen blieben unter 55 Prozent (zum Vergleich: 1990 konnten die Sieger durchschnittlich 65 Prozent der Stimmen erringen; nur acht Sitze blieben unter dieser Marge)
III. Der „amerikanische Traum“ in der Krise
Hinter dem Unbehagen an Politikern und Parteien -auch ihr Erscheinungsbild trübt sich erneut ein, folgt man demoskopischen Befunden -steckt freilich in erster Linie die Sorge vieler US-Bürger um die außen-, viel mehr noch: die innenpolitische Befindlichkeit ihres Landes.
Die politische Kultur der USA war traditionell durch einen Optimismus geprägt, der sich auf die Bewältigung von Gegenwartsproblemen ebenso wie auf die Gestaltung der Zukunft bezog. In den neunziger Jahren aber verstärken sich pessimistische Regungen, glaubt die Mehrheit aller Amerikaner, es sei ihr Land „seriously off on the wrong track“
Was den Wahlen 1992 ihren besonderen Charakter verleiht, sind die Umstände, unter denen sie stattfinden, ist die Thematisierung konkreter Lebensfragen der Nation, die in der Vergangenheit oft genug kaum die Kandidaten interessierten und wo von „Issues“ (Sachproblemen) jedenfalls nur am Rande die Rede war -Paradebeispiele stellen die Wahlkämpfe von 1984 und 1988 dar. In diesem Jahr vollzieht sich der nationale (und einzelstaatliche) Wettbewerb zwischen Parteien und Kandidaten zum erstenmal unter neuen weltpolitischen Rahmenbedingungen, d. h. nach Beendigung des Kalten Krieges; und Kontroversen um Lösungen für die sozioökonomischen Probleme des Landes dominieren die Kampagnen mehr als zuvor. George Bushs „Neue Weltordnung“ interessiert da vergleichsweise wenig, wo es die Strukturen des internationalen Machtsystems erlauben, sich mindestens zeitweilig auf die inneren Probleme des Landes zu konzentrieren; da wird die Verteilung der „Friedens-Dividende“ zum sehr viel brisante-ren Thema.
Im wesentlichen wird die Präsidentschaftswahl 1992 von drei großen Debatten und Auseinandersetzungen beherrscht, zwei innen-und einer außenpolitischen, wobei die beiden Sphären teilweise miteinander verwoben sind. Die Debatte kreist um die Frage, welche praktischen Lösungen für die ökonomischen Probleme der USA gefunden werden können. Expandierende Staatsausgaben und Steuererleichterungen (von denen neben der Unterschicht freilich vorwiegend die Reichen profitierten) haben weder die Einkommens-und Lebenssituation derer verbessert, die ohne College-Abschluß am Wirtschaftsprozeß partizipieren, noch haben sie die sozioökonomischen Disparitäten zwischen den Schichten der US-Gesellschaft verringert oder die (internationale) Wettbewerbsfähigkeit der amerikanischen Industrien verbessert.
Eng verbunden mit der Thematisierung dieser Frage ist die andere Kontroverse, warum der hochbürokratisierte Wohlfahrtsstaat bei der Lösung der chronischen Sozialprobleme des Landes gescheitert ist: Weder hat er die Armen aus ihrer mißlichen Lage befreit oder ihre Zahl verringert, noch erschwingliche und adäquate Formen der Gesundheitsfürsorge hervorgebracht, von der Beseitigung bildungs-und erziehungspolitischer Defizite ganz zu schweigen. Ob zuviel oder zuwenig Staatsinterventionismus, ob „Big Government“ in Gestalt komplexer Bürokratien oder Ineffektivität des „Divided Government“ die Misere zu verantworten haben, ist dabei ebenso umstritten wie die moralischen Aspekte der Sozialpolitik. Dem Streit darüber, wer überhaupt öffentliche Unterstützung verdiene, unter welchen Prämissen sie zu gewähren sei und wie Hilfe zur Selbsthilfe geraten könne, kommt angesichts der ideologischen Prämissen des „Amerikanismus“ erheblich größeres Gewicht zu, als dies für vergleichbare Kontroversen über sozialpolitische Sachverhalte in Kontinentaleuropa der Fall ist. Die dritte Debatte schließlich versucht, Antworten zu finden auf die Frage nach der künftigen Rolle der USA in einer veränderten Welt, die der Supermacht fürs erste ernsthafte militärische Bedrohungen erspart, sie aber mit Wirtschafts-und Handelsrivalen ebenso konfrontiert wie mit stabilitätsgefährdenden Nationalitätenkonflikten. Isolationisten und Internationalisten verschaffen sich derzeit Gehör, Advokaten eines „kosmopolitischen Kapitalismus“ (Robert Reich) und Befürworter eines nach japanischem Muster gestrickten „nationalen Kapitalismus“, „Unilateralsten“ und „Multilateralsten“ stehen sich gegenüber, wo es um die Gestaltung der auswärtigen Beziehungen der USA geht. Dabei teilen nicht etwa parteipolitische Positionen die Präsidentschaftskandidaten (oder Mandatsbewerber) säuberlich in zwei Lager; Demokraten und Republikaner finden sich auf beiden Seiten der unscharfen Trennlinien.
IV. Strittige Wahlkampfthemen
Einige detaillierte Konfliktfelder sollen im folgenden angesprochen werden, die den Präsidentschaftswahlkampf 1992 thematisch prägen. Als Dauerbrenner beschäftigt das Haushaltsdefizit die amerikanische Öffentlichkeit auch in diesem Jahr, wobei im Hinblick auf Lösungsmöglichkeiten hauptsächlich zwei Positionen auszumachen sind. Die „republikanische“ setzt nach wie vor auf angebotsorientierte Rezepte, will Investitionen durch Steueranreize begünstigen, die Kapitalzuwachssteuer (Capital Gains Tax) senken, den Kauf von Immobilien begünstigen und Einsparungen im Budget forcieren, von denen neben den verteidigungs-auch die sozialpolitischen Ausgaben betroffen sein sollen. Die „demokratische“ Position willdie Bezieher von Spitzeneinkommen (mehr als 200000 US-Dollar im Jahr) stärker besteuern, dafür den Mittelschichten niedrigere Einkommensteuern bescheren, die Investitionen steuerlich begünstigen und im übrigen den Haushalt durch massive Einschnitte in den Verteidigungsetat mittelfristig konsolidieren.
Die Stagnation der US-Ökonomie und die Sorge um die internationale Konkurrenzfähigkeit der amerikanischen Wirtschaft bestimmen gleichermaßen den politischen Diskurs des Jahres 1992. Der Republikaner Bush hat in seiner Botschaft zur Lage der Nation im Januar Anleihen beim altehrwürdigen Lord Keynes gemacht, um der hartnäckigen Rezession zu Leibe zu rücken, die sich nur sehr zögerlich auflöst. „Wachstumspaket“ heißt die Devise, mit der die Republikaner seither der Arbeitslosigkeit begegnen wollen. Zehn Mrd. US-Dollar sollte der Staat sofort in die Wirtschaft pumpen, 150 Mrd. US-Dollar längerfristig in ein marodes Verkehrssystem; auf der Privatseite soll Firmen und Familien durch kurzfristig gewährte Steuer-und kreditpolitische Anreize das Geldausgeben erleichtert werden.
Freilich haben die Demokraten, die beide Häuser des Kongresses kontrollieren, abweichende Vorstellungen von einem richtig gehandhabten „Deficit Spending“. Mehr Staatsinterventionismus zur Bekämpfung der nach wie vor bei ca. sieben Prozent pendelnden Arbeitslosigkeit, erheblich stärkere Kürzung des Verteidigungshaushaltes für ökonomische Ankurbelungsprozesse und soziale Hilfen sowie stärkere Steuerabschläge bei mittleren und kleineren Einkommen sollen die Wirtschaftsflaute überwinden und den Wahlsieg sicherstellen. Denn die Stimmung des Wahlvolkes ist derzeit durchaus „sozialdemokratisch“ mindestens insofern eingefärbt, als 75 Prozent aller Amerikaner den Staat zu größerer Aktivität im Bereich der Arbeitsmarkt-(und etwa auch: der Bildungspolitik auffordern. Da sich Exekutive und Legislative angesichts unterschiedlicher parteipolitischer Präferenzen im Wahljahr 1992 wechselseitig blockiert (und damit ein neues Beispiel für die Schwierigkeiten der Konsensbildung im fragmentiertgewaltenteiligen System des US-„Government“ geliefert) haben, ist bei all dem für die Bürger wenig herausgekommen
Daß die USA eine umfassende Wettbewerbsstrategie entwickeln müssen, um die Erosion ihrer wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit abzubremsen, ist zwischen den Parteien und ihren Präsidentschaftsbewerbem im Grundsatz nicht mehr strittig, seit der „Rat für Wettbewerbspolitik“ (Competitiveness Policy Council), ein hochkarätig besetztes Expertengremium, nach den Vorschriften des Handelsgesetzes von 1988 im Jahre 1991 von Exekutive und Legislative berufen, in seinem ersten Jahresbericht die Schwachstellen des amerikanischen Wirtschaftssystems schonungslos aufgedeckt hat
Nicht zuletzt gehört das Problem der „Welfare Reform“ im weitesten Sinne zu den zentralen Wahlkampfthemen. Seine Komplexität läßt sich auf den harten Kern der Diskrepanz von staatlichen Handlüngsmöglichkeiten und gruppenspezifischen Bedürfnissen oder Erwartungshaltungen reduzieren. Bund, Einzelstaaten und Gemeinden sehen sich angesichts einer rezessionsbedingten Stagnation auf der Einnahmenseite und beschleunigten Zuwächsen auf der Ausgabenseite, die u. a.demographisch, arbeitsmarktpolitisch oder vom „Werte-wandel“ her bedingt sind, nicht mehr in der Lage, die (übrigens von einer Reihe von Einzelstaatsverfassungen gebotene) Haushaltsbalance in vernünftigen Margen zu gewährleisten. Im Zeichen gestiegener Lebenserwartung vergrößert sich die Zahl der Amerikaner kontinuierlich, die „Social Security“ -Leistungen beanspruchen. Nicht nur die Zahl der Alten nimmt zu, sondern auch die der Armen: damit steigen u. a. die Kosten für die „Medicare“ -und „Medicaid“ -Programme, wobei moderne Technologie und ärztliche Selbstbedienungsmentalität auf beiden Seiten des Atlantik die Gesundheitsaufwendungen der öffentlichen Hände zusätzlich inflationieren.
1992 erhalten ca. 25 Millionen Amerikaner Berechtigungskarten für den Bezug verbilligter Lebensmittel („Food Stamps“ -Programm), nehmen über 13 Millionen Kinder an der preisreduzierten oder kostenlosen Schulspeisung teil. Insgesamt haben sich die seit den sechziger Jahren applizierten Strategien im Kampf gegen die Armut als wenig erfolgreich erwiesen: Die Zahl der Familien, die nach offiziellen Maßstäben als „arm“ bezeichnet wird, ist zwar prozentual in den letzten 20 Jahren etwas gesunken (von 36, 7 Prozent 1970 auf 33, 3 Prozent 1990); in absoluten Zahlen sind aber immer mehr Amerikaner zu Nutznießern staatlicher „Welfare“ -Programme geworden. Vor allem die Armut der „Urban Underclass“, speziell ihres schwarzen Segments (und in ihrem Rahmen diejenige der vielen „Teenage Mothers“ und „alleinerziehenden Familien“), stellt ein durch Permanenz zunehmend explosiver werdendes Problem dar und trägt dazu bei, daß etwa die Anforderungen an das Familienbeihilfeprogramm („Aids to Families with Dependent Children“) ständig wachsen
Wer die Schuld trägt für die Diskrepanz zwischen Aufwand und Ertrag ist zwischen den großen Parteien ebenso strittig wie die Problemlösungsmodelle differieren, die sich allerdings (aus Überzeugungs-oder machtopportunistischen Gründen) an „Middle Class“ -Perspektiven orientieren. Diese weisen „Faimess“ -Aspekten eine ebenso wichtige Rolle zu wie spezifisch eingefärbten „Compassion“ -Bekenntnissen. In Kalifornien führen nach demoskopischen Befunden 31 Prozent aller (überwiegend weißen Mittelschichten-) Wähler die Haushaltsmisere des Landes auf den Egoismus der Reichen zurück, „who are not paying their fair share of taxes“, 31 Prozent auf solche Wohlfahrtsempfänger „getting benefits they don’t deserve“ und 31 Prozent gleichermaßen auf beide Gruppen. Und wo sie Sozialhilfeleistungen an die Armen durchaus befürworten, wollen sie diese als temporäre Notmaßnahme und nicht als längerfristige Einnahmequelle gewährt wissen
Was die Wähler keineswegs tolerieren wollen, sind höhere Steuern zur Milderung der Budgetkrise, die in den letzten zwei Jahren eine Reihe von Einzelstaaten gezwungen hat, ihre Wohlfahrtsprogramme erheblich zu beschneiden. Wo immer in den letzten Jahren Gouverneure die Steuerlasten erhöhten, um staatliche Daseinsvorsorge weitergewähren oder gar ausweiten zu können, sind sie in massive Turbulenzen geraten. Neben Lowell P. Weicker jr. in Connecticut mag James F. Florio, demokratischer Regierungschef von New Jersey, als Beispiel dienen, der unter großen Schwierigkeiten 1990 noch Steuererhöhungen zum Ausgleich des Haushaltsdefizits und für bildungspolitische Initiativen durchsetzen konnte, im vergangenen Jahr aber die Quittung von den Wählern bekam, die beide Häuser der New-Jersey-Legislative mit starken republikanischen Mehrheiten bestückten und damit Florio für den Rest seiner Amtszeit zur „Lame Duck“ (einflußloser Amtsinhaber) degradierten; und in Kalifornien muß Gouverneur Pete Wilson sorgfältig lavieren, um mit den „Fairness“ -, „Compassion“ -und „Don’t Bill Me“ -Gefühlen der Wählermehrheit nicht zu kollidieren
Auch die Bildungspolitik spielt 1992 eine gewichtige Rolle im Wahlkampf. Wo George Bush seinen Anspruch von 1988, als „Education President“ wirken zu wollen, in diesem Jahr durch eher marginale Reformvorschläge mühsam aufzupolieren sucht, trägt das bildungspolitische Profil seines Herausforderers schärfere Züge, teils aufgrund seiner Schulpolitik in Arkansas, teils wegen seiner programmatischen Ankündigung, das „humane Kapital“ der USA fördern und die Wettbewerbsfähigkeit des Landes revitalisieren zu wollen, durch eine am deutschen Modell orientierte Lehrlings-ausbildung etwa oder durch die Verpflichtung der Betriebe zur Weiterbildung der Arbeitnehmer.
Bleiben zu guter Letzt die „Social Issues“, vorrangig das Problem der Verbrechensbekämpfung und der Abtreibung. Bei den Kongreßwahlen 1990 und den Gouverneurswahlen der letzten Jahre haben „Crime“ und „Abortion“ die Wählerentscheidung nachhaltig beeinflußt. Wo George Bush und die große Mehrheit der Republikaner einen harten Kurs steuern, etwa die Ausweitung der Todesstrafe anpeilen und Schwangerschaftsabbruch gar mit einem Verfassungsbann belegen wollen, befürwortet Bill Clinton, gewarnt durch das Schicksal seines Vorläufers Michael Dukakis vor vier Jahren, dem Bushs Wahlkampfteam die Kappe des verbrechenspolitisch Indolenten aufsetzen konnte, gleichermaßen die Todesstrafe für klar definierte Delikte (und läßt sie in Arkansas auch anwenden); andererseits nimmt er in der Abtreibungskontroverse eine liberale Haltung ein und schwimmt demzufolge im „Social Issues“ -Bereich durchaus im „Mainstream“ Amerikas.
V. Bill Clinton und George Bush
Über George Bushs politische Biographie muß an dieser Stelle nichts vermerkt werden; sein familiärer und Bildungshintergrund sind ebenso bekannt wie seine Karrieremuster im privatwirtschaftlichen und im öffentlichen Bereich. Seine ersten Amts-jahre wurden von ungewöhnlich hohen Popularitätsraten begleitet, die nach dem Golfkrieg Rekordhöhen erreichten und mit dazu beitrugen, die erste Garnitur demokratischer Politiker von einer Kandidatur gegen den nationalen Heros abzuhalten. Als Außenpolitiker engagiert und erfolgreich, hat er ganz offensichtlich den Binnen-problemen der USA zu wenig Aufmerksamkeit geschenkt und ist nicht selten am Problem des „Divided Government“ aufgelaufen
Bushs ursprüngliche Wahlkampfstrategie, die Außenpolitik der USA und damit seine eigene Expertise und internationale Reputation auf diesem Felde ins Zentrum der Präsidentschaftskampagne zu rücken, ist mehr oder weniger gescheitert. Von Außenpolitik wollen die Amerikaner derzeit wenig hören; und der Herausforderer aus Arkansas bemüht sich nach Kräften, den allgemeinen Trend zur Konzentration auf wirtschafts-und gesellschaftspolitische Fragen aus wohlverstandenem Eigeninteresse zu forcieren. Außer allgemein gehaltenen Bekenntnissen zum Projekt einer nordamerikanischen Freihandelszone (es dürfen dadurch aber keine Arbeitsplätze in den USA verloren gehen!) und der Bedeutung der amerikanisch-israelischen Beziehungen (die Clinton reibungsloser gestalten will als Bush) ist über die außenpolitischen Visionen des Gouverneurs wenig bekannt geworden; daß er handelsprotektionistische Maßnahmen ablehnt, läßt für die Zukunft der amerikanisch-europäischen Beziehungen hoffen und trägt wohl den Stempel seines wirtschaftspolitischen Beraters, des global denkenden Ökonomen und Harvard-Professors Robert Reich.
Es fehlt im Wahlkampf 1992 die Auseinandersetzung um Amerikas künftige Rolle in der Weltpolitik. Soll die einzig verbliebene Supermacht als „benevolenter Welthegemon“ (Theo Sommer) wirken, das Entstehen eines Machtvakuums ebenso zu verhindern suchen wie den Aufstieg anderer, regionaler oder gar globaler Führungsmächte, wie es manchen Planern im Pentagon vorschwebt? Oder soll Amerika, Vormacht in einem Bündnis prinzipiell Gleichberechtigter, als gestaltender Faktor einer „Neuen Weltordnung“ auftreten, die auf internationaler Zusammenarbeit beruht und kollektive Sicherheit auch unter dem Dach der Vereinten Nationen sucht, wie dies den Realisten um George Bush vorschwebt? Oder soll es einmal mehr dem „America first“ -Prinzip huldigen, auswärtige Verpflichtungen reduzieren, als autarker Eigenbrötler sich aus der Weltpolitik ausklinken, wie dies Neo-Isolationisten vom Schlage eines Pat Buchanan verlangen?
Von Clinton jedenfalls ist dazu bislang wenig zu hören. Doch wo es ihm an außenpolitischer Expertise fehlt, geht ihm gewiß nicht politische Erfahrung in einem allgemeineren Sinne ab. Vor einem hochkarätigen Bildungshintergrund -Studium an der Georgetown University in Washington, Rhodes-Stipendiat in Oxford und Jura-Studium an der Yale University -hat sich nach kurzer Anwalts-und Dozententätigkeit eine politische Bilderbuchkarriere in Arkansas entfaltet. 1977 zum Justizminister und zwei Jahre später, mit 32 Jahren, zum jüngsten Gouverneur seines Landes gewählt, wurde er zwar 1981 von den Wählern wieder aus dem Amt gejagt -Kenner der politischen Landesszenerie schreiben diesen Denkzettel der Unerfahrenheit und Arroganz des Youngsters zu-, aber schon zwei Jahre später konnte ein offenkundig geläuterter Clinton erneut auf dem Sessel des Gouverneurs Platz nehmen, den er seither nicht mehr räumen mußte.
Dabei nahm er früh das Weiße Haus ins Visier und suchte sich auf nationaler Ebene als Vorsitzender des „Democratic Leadership Council“, der „National Governors’ Association“ oder der „Education Commission of the States“ zu profilieren, nicht ohne Erfolg, bedenkt man die breite Unterstützung von demokratischen Amts-und Mandatsträgem auf der einzelstaatlichen wie nationalen Ebene für Clintons Präsidentschaftskandidatur. Seine Gouverneurskollegen haben ihm 1991 ein vorzügliches Zeugnis über seine politischen Leistungen im strukturschwachen Arkansas ausgestellt, wo er die Klein-und Mittelindustrie revitalisiert und tatkräftig die Verbesserung der schulischen Situation vorangetrieben hat. Seinem hochqualifizierten Wahlkampfteam ist es gelungen, Clinton in allen „Primary“ -Staaten organisatorisch und publizistisch präsent zu machen und Spendensummen einzutreiben, die dem „Southerner“ von Anfang an das Übergewicht über seine parteiinternen Konkurrenten eingetragen haben.
VI. Der offene Wahlausgang
„Can He Beat Bush?“ Hat Bill Clinton die persönliche, politische und organisatorische Kraft, einen amtierenden Präsidenten aus dem Weißen Haus zu drängen? Kann der Gouverneur eines armen, obskuren Staates erreichen, was seit 1964 nur einem einzigen Demokraten gelang, nämlich einen Repu blikaner in Präsidentschaftswahlen zu besiegen? Eine Newsweek-Umfrage vom März verwies auf ein Kopf-an-Kopf-Rennen und sah Bush gegenüber Clinton bloß mit 48 zu 44 Prozent in Führung, der knappsten Differenz zu einem so frühen Zeitpunkt zwischen Titelverteidiger und Herausforderer seit Jimmy Carters kometenhaftem Aufstieg 1976
Aber es bleiben doch Zweifel genug, die über persönliche Glaubwürdigkeitsprobleme Clintons weit hinausreichen und aus politisch-strukturellen Dilemmata der Demokraten erwachsen. Noch immer deuten genügend Anzeichen auf ein konservatives „Realignment“ in den USA, von dem bislang vorwiegend die Republikaner profitiert haben
Auch birgt das noch immer unscharfe Profil der Demokratischen Partei Risiken für ihren Kandidaten in sich. Zwar können die Demokraten gegen George Bush mit Clinton einen Politiker vorweisen, der als Vorsitzender des „Democratic Leadership Council“ sein konservativ-„neoliberales“ Selbstverständnis dokumentiert hat; und überdies haben sie es 1992 geschafft, durch parteiinterne Satzungsänderungen den Nominierungs-und Diskussionsprozeß auf ihrem New Yorker Nationalkonvent in geordneten Bahnen zu halten
Auch läßt die ökonomische Malaise des Landes nicht automatisch die Wahlchancen der Demokraten steigen. Denn demoskopische Befunde belegen für das vergangene Jahr, daß mehr Amerikaner den von Demokraten kontrollierten Kongreß für ihre sozialen und wirtschaftlichen Probleme verantwortlich machten als die Bush-Administration; obgleich sich diesbezüglich die Bewertungen 1992 gewandelt haben, kann von einem unbesehenen „Oppositionsbonus“ nicht die Rede sein
Ein allzu matter Wirtschaftsaufschwung im laufenden Jahr wird Clintons Chancen vergrößern. Er kann in diesem Zusammenhang auch das Thema „Friedensdividende“ unbedenklicher instrumenta lisieren als Bush, der schon aus innenpolitischen Gründen -Rücksichtnahme auf seine konservative Klientel, Rüstungsindustrie und Arbeitsplatzproblem -davor warnen muß, Kürzungen von mehr als 50 Mrd. US-Dollar in fünf Jahren am Verteidigungsetat vorzunehmen. Die „Anti-Washington“ -Stimmung im Lande mag Clinton Vorteile im Wettkampf zweier Generationen verschaffen. Immerhin gehört der 45jährige Gouverneur anders als der 67jährige Bush zu jenen Amerikanern, die mit dem Mißtrauen gegen das „System“ und die politische Klasse in Washington groß geworden sind.